Port Augusta/South Australia, 22. März 2020
Entscheidung
Die Nachrichten um das C-Virus blieben alarmierend und beängstigend. Nichts war mehr sicher und niemand wusste was in naher oder ferner Zukunft geschehen würde.
Durch die geplante Reise mit meinem Vater, die nun nicht stattfand, hatten wir für den 04. April einen Flug von Melbourne nach Perth in der Tasche. Doch bis dahin waren es noch gute 14 Tage und viel konnte geschehen.
Inzwischen grassierten Gerüchte, dass Flüge innerhalb Australiens nur noch bis zum 30. März durchgeführt und die Landesinneren Grenzen bald geschlossen werden würden. Für diese Gerüchte fanden wir jedoch nirgendwo eine Bestätigung. Wir waren verunsichert und benötigten dringend einen Rat. Wir riefen deshalb unsere Freiburger Freundinnen Katrin und Nadine an, die sich zu diesem Zeitpunkt in Western Australia, ganz in der Nähe von Perth aufhielten. Als wir mit Ihnen sprachen, waren die beiden bestens gelaunt und erzählten begeistert, dass sie am Tag zuvor mit Seelöwen Schnorcheln waren. Aufgeregt gerieten sie ins schwärmen.
Uns beruhigte das, denn offensichtlich war die Lage im Westen wesentlich entspannter. Die Mädels empfahlen uns aus dem Bauch heraus, so schnell wie möglich zu Ihnen in den Westen zu kommen, damit wir uns dort treffen und noch einige spaßige Tage zu verbringen.
Klasse!!! Genau auf diesen Rat hatten wir gehofft! Aber würden wir später nochmal zurück nach Melbourne kommen? Denn von dort aus würde am 30.04.2020 unser Rückflug nach Deutschland gehen. Und würde dieser aufgrund der Situation überhaupt stattfinden? Fragen über Fragen...
Wir benötigten also noch einen weiteren Rat und riefen deshalb unseren australischen Freund Peter an. Peter freute sich riesig von uns zu hören und erzählte, dass er gerade in Winton (Queensland) war und seit kurzem als stellvertretender Manager in einem Hotel arbeitete. Seine Lebensgefährtin Helen sollte demnächst nachkommen und das Café des Hotels übernehmen. Doch durch die Verbreitung des Coronavirus und die damit einhergehenden Einschränkungen, kamen nun plötzlich keine Touristen mehr. Das Hotel war mausetot.
Der unglückliche Hotelmanager sah sich deshalb gezwungen Peter und Helen zu fragen, ob sie erstmal wieder gehen könnten, doch er versicherte Ihnen, dass er sie wieder beschäftigen wollte, wenn die Zeiten besser wären.
In dem Telefonat konnte auch Peter uns nicht sagen, wie lange die Grenzen zwischen den australischen Staaten noch geöffnet sein würden. Er wusste nur, dass das Coronavirus für Land, Wirtschaft und Tourismus eine absolute Katastrophe war!
Peter gab uns den Rat all unsere gebuchten Flüge zu vergessen und meinte, dass wir doch mit Zügen fahren könnten, denn die würden noch immer im Land verkehren und die Verbindungen seien gut. Doch nach Perth gab es keine Verbindungen mit Personenzügen. Aber dann kam uns Radmiezen eine geniale Idee: Wir könnten doch ein Auto mieten und damit „in den Westen türmen.“ Schon während des Telefonats waren wir uns einig. So wollten wir es machen. Wir verabschiedeten uns daraufhin von Peter und versprachen weiterhin mit ihm in Kontakt zu bleiben.
Nachdem wir aufgelegt hatten, machten wir uns eifrig an die Arbeit und suchten im Internet nach einem günstigen Mietwagen. Auf der Seite von Transfercar (ein Tipp von Jim und Neroli in Neuseeland), entdeckten wir schließlich einen coolen Camper für unglaubliche 0,-Euro, der von einer Agentur in Adelaide, innerhalb von sieben Tagen zum Vermieter nach Perth überführt werden sollte. Lediglich Benzin sollte bezahlt werden. Genial!!! Das war die perfekte Lösung!
Wir fackelten nicht lange und buchten den Camper schon für den nächsten Tag. Wir wollten keine Zeit verstreichen lassen, denn wer wusste schon was noch alles passieren würde.
Nur eine Minute nachdem wir den Camper gebucht hatten rief Peter nochmal an. Aufgeregt informierte er uns darüber, dass die Grenzen zwischen South- und Western Australia schon am übernächsten Tag, um genau 13.30 Uhr geschlossen werden sollten. Wir kamen ins Schwitzen, denn das war nun der Plan:
Am nächsten Tag würden wir nach Adelaide fahren um den den Camper abzuholen. Danach mit diesem zurück nach Port Augusta sausen, um dort unsere Fahrräder und das ganze Gepäck einzuladen und anschließend Richtung Grenze aufbrechen, die dann noch gute 1000 Kilometer entfernt war und nach unseren Berechnungen in weniger als 16 Stunden schließen würde. Kurzum: Der pure Stress!!!
Auf der gesamten Strecke zwischen Adelaide und Perth, waren mit dem Camper rund 2700 Kilometer zurückzulegen. Das entsprach ungefähr der Strecke von Berlin - Lissabon. Würden wir die Grenze also rechtzeitig erreichen?
South- / Western Australia, 23. - 24. März 2020
Auf in den Westen...
Teil 1: Bis an die Grenze
Skeptisch machten wir uns am nächsten Morgen auf den Weg und fuhren mit dem dem 7.00 Uhr Bus, in viereinhalb Stunden (320 km) nach Adelaide, um den Camper in der Agentur abzuholen.
Nachdem nun klar war, dass die Landesinneren Grenzen schon bald schließen würden, waren wir alles andere als sicher, ob wir den Camper überhaupt ausgehändigt bekommen würden. Doch ohne viel Federlesen übergab uns die unfreundliche und gestresste Tussi in der Agentur die Schlüssel, nachdem wir den Wagen gecheckt und die Kaution hinterlegt hatten.
Sie informierte uns darüber, dass wir im Fall eines Unfalls mit einem Känguru 3000,-A$ zahlen müssten und sagte dazu mit Nachdruck: „Don't drive at night !!!“ (Fahrt nicht bei Nacht!!!). Schelmisch und grinsend wünschte uns die Schnepfe für den Weg noch viel Glück, denn die doofe Kuh wusste natürlich, dass wir die gesamte Nacht durchfahren mussten, um die rund 1300 Kilometer bis zur Grenze zurückzulegen.
Als wir dann um kurz nach 13.00 Uhr in Adelaide wieder aufbrachen, um die 320 Kilometer zurück nach Port Augusta zu sausen, lachten wir uns im Wagen schlapp. Wir konnten kaum fassen, dass wir den Camper von der Torte wirklich ausgehändigt bekommen hatten. Und nun waren wir also wirklich auf dem Weg.
Unterwegs schrieben wir Peter und den „Freimädels“ eine Nachricht und informierten sie über den Stand der Dinge, denn sie fieberten eifrig mit uns mit.
Gegen 17.30 Uhr trafen wir schließlich wieder auf dem Holiday Park in Port Augusta ein. Wir kauften noch schnell einige Dinge für die Weiterfahrt, warfen die Räder und unser gesamtes Gepäck in den Camper, aßen schnell noch etwas zu Abend und brausten gegen 19.00 Uhr erneut los, um die rund 1000 Kilometer bis zur Grenze in Angriff zu nehmen. Dies entsprach ungefähr der Distanz zwischen Berlin und Paris.
Es war die gleiche Strecke durch die Nullarbor Wüste, die wir einige Zeit zuvor auf unseren Rädern, in insgesamt 38 Tagen bewältigt hatten. Doch zum Glück mussten wir die Wüste nun nicht erneut auf unseren Drahteseln, sondern bequem in einem Camper durchqueren.
Als wir Port Augusta hinter uns ließen, ging die Sonne am Horizont bereits unter. Wir waren aufgeregt, nervös und voller Adrenalin. Würden wir die Nacht unfallfrei und unbeschadet überstehen?
In der Hoffnung, so einen Zusammenprall mit einem Känguru zu vermeiden, klemmten wir uns erstmal in den Windschatten eines riesigen Trucks. Doch die Nacht war lang. Und wir waren nicht die einzigen, die sich „Auf der Flucht“ befanden. Viele der Australier legten genau wie wir nun lange Strecken zurück, um noch vor Schließung der Grenzen nach Western- oder in umgekehrter Richtung nach South Australia zu gelangen. Es war als würde Krieg ausbrechen...
Wir gaben Gas. Hier und da machten wir einige kurze Stopps um Kaffee zu trinken, etwas zu essen, oder zu ruhen. Doch dann ging die Fahrt auch schon weiter.
Die Rastplätze auf der Strecke waren während der Nacht proppenvoll. Gegen 3.00 Uhr morgens waren wir beide schließlich so müde, dass wir uns mit dem Camper auf einen der überfüllten Rastplätze stellten, um auf dem Sitz ein wenig zu schlafen. Doch schon um 4.00 Uhr brausten wir weiter.
Wir mussten uns höllisch auf die Straße konzentrieren, denn zu allem Übel begann es zwischenzeitlich stark zu Regen. Doch vermutlich war der Regen auch unser großes Glück, denn in der Nacht begegnete uns kein einziges Känguru. Lediglich zwei nasse Füchse kreuzten vor uns die Fahrbahn.
Als es dann langsam hell wurde, erreichten wir in den frühen Morgenstunden das Nullarbor Roadhouse. Es war der Ort an dem wir Elli’s 55sten Geburtstag gefeiert hatten. Doch die Atmosphäre war nun eine ganz andere. Es herrschte regelrechter Ausnahmezustand. Unzählige Autos und Camper standen in langen Schlangen an den Zapfsäulen und warteten darauf Tanken zu können. Scheinbar war der Server durch das ungewöhnlich hohe Aufkommen überlastet und ausgefallen.
Während dieses Szenarios tingelte ein müder Dingo zwischen den Autos umher. Er streckte sich genüsslich und gähnte vor sich hin, bevor er schließlich wieder gelangweilt und desinteressiert zurück in die Wüste lief.
Die Uhr tickte. Wir hielten uns nicht lange in dem Chaos auf und rasten weiter. Zwar waren es bis zur Grenze nur noch 170 Kilometer, doch wir wussten nicht wie groß der Andrang war und wie die Kontrollen dort ablaufen würden. Mussten wir uns nach der Einreise in Western Australia vielleicht sogar in eine 14 tägige Quarantäne begeben? Niemand konnte uns darauf Antwort geben.
Um genau 8.15 Uhr westaustralischer Zeit, erreichten wir die Grenze zwischen South- und Western Australia. Zum Glück war es dort nicht so voll wie befürchtet. Nur gute 30 Minuten standen wir in der Schlange, bis wir die Kontrollstation erreichten. Zu unserer Überraschung prüften die Beamten lediglich, ob wir frisches Obst, Gemüse, Pflanzen oder ähnliches dabeihatten. Anschließend konnten wir passieren. Gegen 8.45 Uhr befanden wir uns schließlich in Western Australia. Rund 5 Stunden bevor die Grenze dicht machte. Wir begannen im Camper laut zu jubeln und freuten uns riesig, dass wir es wirklich geschafft hatten! Zwar wussten wir noch nicht, ob wir Ende April wirklich wieder zurück nach Melbourne kommen würden, um unseren Rückflug in die Heimat anzutreten, doch das war ein späteres Problem...
Teil 2: Von der Grenze bis nach Norseman
Nachdem wir nun die Nacht mehr oder weniger durchgefahren waren, entschieden wir uns trotzdem noch weitere 700 Kilometer zu fahren, damit der Tag in der Nullarbor-Wüste nicht verschenkt war und wir den größten Teil der Strecke hinter uns hatten.
Kurz hinter der Grenze legten wir am Roadhouse Eucla jedoch erstmal einen weiteren Stopp ein, denn wir benötigten dringend Benzin. Aber auch hier standen wieder unzählige Camper in einer endlosen Schlange, an der einzigen Zapfsäule für Diesel. Auf solche Ausnahmesituationen wie diese, waren die Roadhäuser im Outback einfach nicht vorbereitet. Doch zum Glück benötigten wir mit unserem Camper nur bleifreies Benzin und waren somit schneller an der Reihe.
Zum Tanken wie auch zum Bezahlen mussten von nun an Einweghandschuhe getragen und Abstände von mindestens 1,5 Meter zwischen den Personen eingehalten werden. Auch mit Bargeld durfte nun nicht mehr bezahlt werden.
Die Atmosphäre in der Nullarbor Wüste war wirklich schräg! Ungefähr so wie in einem Sciencefictionfilm, in dem die Apokalypse nahte und man sich mit allen anderen auf eine sinn-und aussichtslose Flucht begab. Wir fühlten uns plötzlich an den US-amerikanischen Filmklassiker „The Day After“, mit dem denkbaren Szenario eines Atomkrieges erinnert. In sämtlichen Roadhäusern auf der Strecke, waren in den Shops, Restaurants und Cafés bereits alle Tische und Stühle entfernt worden, um Zusammenkünfte von Menschen wegen der Ansteckungsgefahr mit dem C-Virus zu verhindern. Zudem bereiteten sich die Roadhäuser schon auf die Schließung vor, denn nachdem die Grenzen dicht wären, würden auch keine Autos, Trucks und Camper mehr kommen. Die Stimmung also war surreal und gespenstisch...
Während der Fahrt hatten wir immer wieder Hoch und Tiefs. Inzwischen waren wir so übermüdet, dass wir uns wie in Trance fühlten. War es wirklich Realität, dass wir die Nullarbor Plain nun erneut mit dem Auto durchquerten und all das nochmal abfuhren, was wir vor geraumer Zeit mit dem Fahrrad gerissen hatten. Es war krass!!! Wir konnten uns kaum mehr vorstellen wie wir das gemacht hatten.
Wie schon mit dem Fahrrad, hangelten wir uns jetzt mit dem Camper von Roadhouse zu Roadhouse. Wir machten kurze Stopps in Madura, Cocklebidy und Balladonia. Doch auch hier war alles anders als zuvor.
Die Sonne schien währenddessen gleißend vom blauen Himmel, der hier und da mit dicken weißen Wolken gespickt war und ließ die wunderschöne Nullarbor Wüste bizarr und eindrucksvoll leuchten.
Am späten Nachmittag war wieder höchste Konzentration beim Fahren angesagt, denn nun begann die Zeit der futtersuchenden Kängurus. Wir hatten große Angst, dass uns sozusagen noch auf der Zielgeraden, eines dieser possierlichen Tierchen vor den Wagen hüpfen würde. Trotz allem gaben wir weiterhin Gas, denn bis zum Sonnenuntergang wollten wir unbedingt die Fraser Range erreichen, um dort die Nacht zu verbringen und um uns von den enormen Strapazen der langen „Flucht“ mit dem Camper zu erholen.
Doch als wir im letzten Abendlicht dort gegen 18.00 Uhr eintrafen, waren die Tore verschlossen. Auch die Range hatte offensichtlich wegen des C-Virus schon dicht gemacht. Unsere Enttäuschung war groß. Wir überlegten was wir nun tun sollten. Nach über 37 Stunden auf den Beinen, benötigten wir dringend eine Tüte Schlaf und eine Dusche. Wir setzten uns daraufhin also wieder in den Wagen und fuhren noch weitere 100 Kilometer nach Norseman. Nachdem wir auf dem Campingplatz geduscht hatten, fielen wir nach rund 2000 gefahrenen Kilometern geradezu komatös in einen tiefen tiefen Schlaf.
Western Australia, 25. bis 27. März 2020
Teil 3: Von Norseman nach Perth
Nachdem wir es in den Westen Australiens geschafft und den größten Teil der Strecke hinter uns gelassen hatten, ließen wir uns für die restlichen 700 Kilometer bis nach Perth Zeit. Etwas Erholung hatten wir auch dringend nötig, denn von der ganzen Aufregung waren wir noch immer hundemüde.
Wir tuckerten mit dem Camper also erstmal gemächlich nach Kalgoorlie-Boulder, eine Goldgräberstadt die 1895 aus dem Boden gestampft wurde. Die Stadt liegt an der Golden Mile, einer der größten Goldadern der Welt. Hier befindet sich auch das größte Goldbergwerk Australiens. Die gigantische Super-Pit-Goldmine, ist noch immer sehr ertragreich und das Wahrzeichen der Stadt. Das Zentrum von Kalgoorlie-Boulder besteht aus vielen hübsch restaurierten Kolonialhäusern, die den Glanz und den Reichtum des Goldrausches noch immer erahnen lassen. Die City würde eine schöne Kulisse in einem Western-Klassiker abgeben.
Leider war auch in Kalgoorlie-Boulder die Stimmung inzwischen sehr bedrückend. Als Maßnahme gegen das Coronavirus, hatten viele der Geschäfte schon geschlossen. Überall sah man besorgte Gesichter. Die sonst so aufgeschlossenen und vor Lebensfreude sprühenden Australier, lächelten nur noch selten und waren nun eher zurückhaltend und reserviert.
Auf den Campingplätzen ging es fortan sehr anonym zu. Anmeldungen waren nur noch telefonisch und mit Kreditkarte möglich. Zugangscodes und Schlüssel wurden zum Schutz der Angestellten in einer Box hinterlegt. In großzügigen Distanz-Abständen wurden die wenigen Gäste anschließend auf dem Campingplatz verteilt.
Nachdem sich die Situation durch das C-Virus nun auch in Australien rasant verändert hatte, entschieden wir uns, auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes zu registrieren und schrieben uns vorsichtshalber auch für das Touristen-Rückholprogramm der Deutschen Regierung ein. Es hieß also erstmal abwarten.
Wir telefonierten nochmal mit unseren Freundinnen Katrin und Nadine, die sich zu diesem Zeitpunkt irgendwo nördlich von Perth befanden. Doch die beiden Mädels klangen am Telefon nun nicht mehr sehr glücklich, denn auch an der Westküste war das Reisen inzwischen sehr eingeschränkt.
Eigentlich wollten die Mädels vor August nicht wieder zurück nach Deutschland, doch was wenn sich die Lage bis dahin nicht wieder normalisiert hatte und keine Flüge nach Europa gingen? Auch die Freimädels fühlten sich deshalb gezwungen, für das Rückholprogramm beim Auswärtigen Amt zu registrieren.
Von Kalgoorlie-Boulder ging es für uns mit dem Camper weiter in Richtung Perth.
Es tat gut die Stadt zu verlassen, denn so wurden wir nicht ständig mit dem allgegenwärtigen C-Virus konfrontiert. Dachten wir zumindest...
Doch auch der Highway war inzwischen extrem leer. Nur noch wenige Trucks oder Autos waren wegen der Beschränkungen auf den Straßen unterwegs.
Während der Autofahrt ließen wir unsere Gedanken still schweifen und versuchten einfach die wunderschöne Landschaft mit der leuchtend roten Erde und grünen Eukalyptuswäldern um uns herum zu genießen. Wir rollten auf dem scheinbar endlosen Highway so dahin.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir schließlich Merredin. Ein kleiner Ort, in dem es einen Campingplatz gab und auf dem wir die Nacht verbringen wollten. Als wir dort ankamen, fragte die Eigentümerin uns bissig: „Wo kommen sie Her? Wie lange sind sie schon in Australien und haben sie Fieber oder andere Beschwerden?“
Erschrocken über den ungewohnt schroffen und strengen Ton, stotterten wir daraufhin unsere Antworten zurecht. Die Dame die unter normalen Umständen vermutlich ganz nett war, machte nun den Eindruck als würde sie für die Einwanderungsbehörde arbeiten. Was waren das nur plötzlich für schräge Zeiten...
Perth / Western Australia (28. - 31. März 2020)
Corona, Corona, Corona...
Auf der ganzen Welt gab es scheinbar kein anderes Thema mehr. Die vielen negativen Nachrichten drückten unvermeidbar auf die Stimmung und auf‘s Gemüt.
Auf dem Weg nach Perth erhielten wir von den Freimädels unverhofft einen weiteren Anruf. Aufgeregt verkündeten sie uns darin die neuesten Nachrichten: Ab Dienstag, den 31.03.2020 sollte es in Western Australia zum Lockdown kommen. Das Ende der Ausgangssperre war unbekannt.
Wir konnten es kaum fassen! Mit dem Umherreisen war es nun also vorbei. Und nicht nur das... Wir waren ganze 2700 Kilometer mit dem Camper durch das Land gerast, nur um jetzt festzustellen, dass alles umsonst war. Und auch unsere 25.000 Kilometer auf dem Rad würden wir aufgrund der Ausgangssperre nicht mehr erreichen können. Es fehlten nur noch läppische 254 Kilometer. Es war einfach zum verzweifeln...
Aufgrund des angekündigten Lockdowns, änderten die Freimädels überstürzt ihre Pläne und begaben sich genau wie wir, auf dem schnellsten Weg nach Perth, damit sie am Ende nicht noch in irgendeinem Kaff, für wer weiß wie lange festsitzen würden. Wir verabredeten uns mit den Mädels auf einem Campingplatz, der direkt am wunderschönen Coogee Beach in Perth lag. Ganz nach dem Motto: „Gemeinsam sind wir weniger einsam“, wollten wir zusammen abwarten und weitere Entscheidungen treffen.
Einen Tag bevor der Lockdown in Kraft trat, radelten wir Miezen zu einem riesigen Shopping-Center, um dort noch einige Souvenirs zu ergattern, bevor es zu spät war. Doch zu unserer Überraschung waren auch an diesem Tag schon die meisten der Geschäfte in dem gigantischen Einkaufszentrum geschlossen. Nur noch vereinzelt liefen Leute umher. Die Atmosphäre war bedrückend. Wir sahen uns um. An den Schaufenstern und Türen der verschlossenen Läden hingen Zettel auf denen stand: Geschlossen bis zum 24. Juli 2020. Uns blieb die Luft weg! Denn wir schrieben gerade mal den 30. März!!! Es waren also fast 4 Monate in denen sämtliche Geschäfte geschlossen bleiben sollten. Wir waren geschockt! Und nun wunderte uns auch nicht mehr, dass sich die sonst so fröhlichen und aufgeschlossenen Australier inzwischen merklich verändert hatten.
Noch im Einkaufszentrum bekamen wir eine Nachricht vom Auswärtigen Amt. In einer E-Mail wurden wir darüber informiert, dass in den kommenden Tagen, dass Rückholprogramm der Deutschen Regierung, zum Ausfliegen der Touristen nach Deutschland beginnen würde. Allerdings wurde in der Nachricht ausdrücklich darum gebeten, dass sich nur nur ältere Menschen, Behinderte, Familien mit Kindern und völlig Ausweglose auf der Warteliste registrieren und alle anderen sich weiterhin um alternative Flüge bemühen sollten.
Jetzt war klar, dass wir uns so schnell wie möglich um einen Rückflug kümmern mussten, noch bevor die einzige Fluggesellschaft, die Europa überhaupt noch anflog, vielleicht auch noch ihren Flugverkehr einstellen würde. Nichts war mehr sicher...
Wir verließen das Shopping-Center mit merkwürdigen Gefühlen und radelten wieder zurück zum Zeltplatz.
Um gestrandete Touristen sicher wieder nach Hause zu bringen, dehnte Qatar Airways den Flugbetrieb von und nach Australien aus und erweiterte diesen kurzfristig um 48.000 zusätzliche Sitzplätze.
Noch am Abend des gleichen Tages (30.03.2020) setzten wir uns mit den Freimädels zusammen und buchten schweren Herzens einen Rückflug nach Deutschland für den 01.04.2020 mit Qatar Airways.
Wir hatten also nur einen Tag Zeit, um unsere Rückkehr nach Deutschland zu organisieren und das ganze Gepäck samt Räder zu verpacken. Alles ging drunter und drüber und eigentlich viel zu schnell. Es war ein seltsamer, kurioser und überstürzter Abschied von einer fantastischen Reise.
Übergepäck
Nachdem unser ganzer Krempel nun Reisebereit verhüllt war, schätzten wir das Gesamtgewicht unserer Ausrüstung. Zwar waren auf den Flügen von Qatar Airways großzügige 30 Kilogramm Freigepäck inclusive, doch da allein unsere Fahrräder im Karton schon gute 25 Kilogramm pro Stück auf die Waage brachten, war klar, dass wir zwei weitere Gepäckstücke (a 15 kg) dazubuchen mussten.
Als wir dann auf der Internetseite der Airline nachsahen was uns das Übergepäck kosten würde, fielen wir fast vom Glauben ab. Pro zusätzlichen Gepäckstück (a 15 kg), sollten wir schlappe 725,-Euro berappen. Für uns zusammen wären das also 1450,-Euro gewesen. Das kam auf gar keinen Fall in Frage!!! Wir waren schließlich keine Millionärinnen!!! Doch was tun? Viel Zeit für Überlegungen blieb nun nicht mehr.
Schlussendlich entschieden wir uns nur mit Handgepäck und unseren geliebten Fahrrädern nach Deutschland zu fliegen und den Rest unserer Habseligkeiten per Post und auf dem Seeweg nach Hause zu schicken. Zwar würden die Sachen vermutlich drei bis fünf Monate unterwegs sein, doch das war immer noch besser, als den horrenden Preis bei der Fluggesellschaft zu zahlen.
Auf dem Weg zum Flughafen gaben wir bei der australischen Post also drei große Pakete auf und zahlten dafür umgerechnet 215,-Euro. Daran war wirklich nichts auszusetzen, denn das war ein fairer Preis!
Von Australien nach Deutschland (01. April 2020)
Rückflug in die Heimat
Mit unseren Freundinnen Katrin und Nadine flogen wir am 1. April 2020 zurück nach Deutschland. Vorerst ging es im Flieger gemeinsam von Perth (Australien) nach Doha (Katar). Dort trennten sich dann unsere Wege. Während wir Radmiezen anschließend weiter nach Berlin flogen, ging es für die Freimädels nach Frankfurt und von dort aus weiter nach Freiburg.
Der internationale Flughafen von Perth war riesig. Trotzdem waren nur wenige Menschen am Airport unterwegs. So gut wie alle Flüge waren aufgrund des C-Virus gekänzelt. Auf dem Flughafen hatte außer einem Café, kein einziges Geschäft geöffnet und viele der Passagiere trugen inzwischen einen Mundschutz.
Das Ende unserer fantastischen Rad-Weltreise war völlig anders als gedacht. Wer hatte schon mit dem weltweiten Ausbruch einer Pandemie gerechnet?
Der Abschied von Australien, der Freiheit auf dem Rad und all dem Erlebten, fiel uns unglaublich schwer. Insgesamt waren wir 665 Tage unterwegs, hatten 24.746 Kilometer geradelt und 8 Länder der Erde bereist.
Jetzt wo sich die Welt so drastisch und rasant verändert hatte, begannen wir allmählich zu realisieren, was wir doch für ein verdammtes Glück mit unserer Reise hatten. Denn fast bis zum Schluss konnten wir dieses verrückte Abenteuer in vollen Zügen genießen. Und wir waren gesund und hatten den zum Teil wirklich gefährlichen Straßenverkehr, wie durch ein Wunder unbeschadet überlebt.
Aber auch Überfälle und schwere Krankheiten blieben uns auf der ganzen Reise erspart. Zwar blickten wir nun wehmütig auf die Zeit unseres Abenteuers zurück, doch gleichzeitig waren wir unglaublich selig und dankbar. Wir waren verdammt stolz, denn wir hatten es wirklich gewagt. Der Aufbruch zur „Tour de Miez“ war die beste Entscheidung unseres Lebens, denn nichts und niemand kann uns all die schönen Erlebnisse und harten Erfahrungen mehr nehmen.
Unsere Ankunft Berlin nach fast zwei Jahren Weltreise (02. April 2020)
Unser Aufschlag in der Heimat war hart. Müde kamen wir am Nachmittag des 02. April auf dem Flughafen in Berlin Tegel an. Aufgrund der Präventionen gegen das Coronavirus und den damit einhergehenden Ausgangsbeschränkungen, gab es für uns am Flughafen kein Empfangskomitee. Niemand war da. Keine Familie, keine Freunde. Die Ankunft war irgendwie sonderbar und bizarr. Doch wir waren nicht allzu traurig und mussten über die kuriosen Gegebenheiten eher lachen.
Noch vor der Landung in Berlin hatten wir vermutet, dass man uns zu einer 14 tägigen Quarantäne verpflichten oder uns zumindest eine Standpauke über die Verhaltensregeln zum Infektionsschutz halten würde. Doch nichts dergleichen geschah. Wiedermal hatten wir großes Schwein, denn wie sich nur wenig später herausstellte, traten diese Maßnahmen erst am darauffolgenden Tag in Kraft.
Noch auf dem Flughafen in Tegel bauten wir unsere Räder wieder zusammen und radelten anschließend durch das noch kühle, frühlingshafte Berlin nach Hause.
Es war ein merkwürdiges Gefühl wieder in der Heimat zu sein. Alles war irgendwie vertraut und doch so fremd.
Es dauerte einige Wochen bis wir wirklich wieder in der Heimat ankamen.
In den ersten Tagen eierten wir noch ziemlich ziel- und planlos umher und fragten uns immer wieder was wir in Berlin eigentlich verloren hatten. Alles kam uns extrem eng, klein und geradezu spießbürgerlich vor. Die Nachbarn hatten wie jedes Jahr ihre Türen mit Osterkränzen und bunten Eiern geschmückt, das alte Ehepaar im Haus gegenüber saß wie immer vor dem Fernseher und die junge Frau nebenan stand wie eh und je allmorgendlich im Bademantel auf dem Balkon und rauchte die erste Zigarette des Tages. Scheinbar hatte sich nicht viel verändert. Es war fast so, als wären wir niemals weg gewesen.
Berlin kam uns irgendwie plump vor. Wir beschreiben es mal so:
Schmückt man in Berlin den kurzen zwischenmenschlichen Smalltalk mit zu vielen Worten aus, dann lassen einen die Menschen gleich wissen und spüren, dass sie dafür keine Zeit haben. Der Kontakt ist weniger ein Gespräch, als vielmehr eine Art Gemaule im Offlinemodus.
Die Berliner neigen oft zur Unfreundlichkeit und verzichten offenbar gerne auf zwischenmenschliche Komponenten. Beispiel: Als ich neulich im Supermarkt war und sah wie der Kunde vor mir sein Kleingeld zum Bezahlen zusammensuchte dachte ich, die Dame an der Kasse hätte sicherlich kein Wechselgeld. Also kramte auch ich hektisch in meiner Tasche und überreichte ihr als ich dran war, stolz eine Handvoll Münzen, exakt passend. Die Antwort der Dame: „Meine Jüte, will mir denn heute jeda mit seinem Kleenjeld zuscheißen?“
Fettnäpfchen Nummer 2: Scheinbar hatte ich meinen Einkauf nach dem Bezahlen nicht schnell genug vom Tresen und zurück in den Wagen geräumt und wurde deshalb mit strafenden Blicken, rollenden Augen und lauten Seufzern von der Kassiererin, wie auch von dem nachfolgenden Kunden gestraft.
Vielleicht sind Berliner nicht wirklich unfreundlich, doch nach der langen Abwesenheit wirkten sie auf uns geradezu niveaulos, muffelig und ausgesprochen direkt.
Nach unserem Auftakt im alten neuen Leben waren wir erstaunt, wieviele Dinge wir auf einmal wieder besaßen. Zwei Jahre hatten wir nicht einen einzigen Gedanken an all das unnütze Zeug verschwendet. Wozu brauchte man nur all diesen Krempel und diese vielen Klamotten? Am liebsten hätten wir uns noch am Tag unserer Ankunft von der Last der vielen Dinge befreit, denn sie waren ungeahnt schwer und erdrückend. Doch nach und nach relativierten sich in den darauffolgenden Tagen und Wochen wieder unsere Empfindungen. Es dauerte nicht lange, dann fanden wir wieder Gefallen an all dem Überfluss und Luxus.
Wir Radmiezen bedanken uns bei allen,
die uns auf der Radreise so unermüdlich unterstützt haben.
Ihr seid großartig!!!
DANKE