South Australia, 20. Februar 2020
Heimweh gegen Fernweh
Noch auf den letzten Kilometern unserer großen Radtour durch die Nullarbor Wüste von Perth nach Port Augusta, stellten wir uns die Frage, wie unsere Reise bis zum Ende weitergehen sollte. Wir beide fühlten uns inzwischen unglaublich müde. Immerhin waren wir nun schon über 1 Jahr und 8 Monate unterwegs und hatten dabei rund 23.500 saftige Kilometer auf unseren Rädern zurückgelegt.
Während Elli ihren Drahtesel inzwischen lieber früher als später an den Nagel gehängt hätte und sich allmählich wieder nach einem geregelten Leben sehnte, brannte in mir, trotz der körperlichen Müdigkeit, noch immer die ungebremste Abenteuerlust. Und auch der Sportsgeist hatte sich noch nicht verabschiedet. Von Heimweh keine Spur!!!
Wir Radmiezen waren nun also plötzlich wie „Yin und Yang“, entgegengesetzt und doch aufeinander bezogen. Wir mussten deshalb versuchen einen gemeinsamen Weg für uns zu finden.
Als wir eines morgens und in aller Herrgottsfrühe durch die Dunkelheit radelten, nervte ich Elli mal wieder mit der Frage unserer Weiterreise und unterbreitete ihr dabei enthusiastisch einen Vorschlag. Ich sagte, das wir nach unserer Ankunft in Port Augusta doch erstmal einige Tage auszuspannen und anschließend nach Melbourne fliegen könnten, um dort unsere Freundinnen Katrin und Nadine aus Freiburg zu treffen. genialerweise nahmen die beiden auch gerade eine längere Auszeit und waren zu diesem Zeitpunkt genau wie wir in Australien unterwegs.
Ich versuchte Elli also meinen Plan so schmackhaft wie möglich zu machen und schlug deshalb weiter vor, dass wir nach diesem coolen Städtetrip ja auch noch die wunderschöne Insel Tasmanien beradeln könnten. Sozusagen „ganz nebenbei“, würde dann unser großer Traum von den 25.000 geradelten Kilometern in Erfüllung gehen. Anfang April würden wir dann schließlich noch meinen Vater in Melbourne treffen, um mit ihm den krönenden Abschluss unserer fantastischen Reise zu machen, bevor es wieder zurück nach Deutschland ging. Die Reise mit meinem Dad war schon lange geplant. Zur Abwechslung wollten wir Australien nicht mit dem Rad, sondern mit einem Camper bereisen. Denn somit würden wir den „Roten Kontinent“ nochmal von einer ganz anderen Seite kennenlernen. Wir freuten uns schon riesig auf diese Rundreise und das langersehnte Wiedersehen mit meinem Dad.
Nachdem ich Elli meinen Reisevorschlag nun unterbreitet hatte, reagierte sie trotz meines euphorischen Lobgesanges, aufgrund ihrer Lust- und Antriebslosigkeit, ausgesprochen allergisch. Partout wollte sie mir um diese frühe Uhrzeit keine Antwort oder einen Kommentar dazu geben. Stattdessen blaffte sie bissig zurück: „Wir fahren jetzt erstmal nach Port Augusta und dann sehen wir weiter!!!
Wir radelten daraufhin still und wortlos weiter durch die Dunkelheit, bis Elli ungefähr eine Stunde später die Stille wieder brach. Nachdem sie nun scheinbar etwas muntererer war, meinte sie: „Du hast ja Recht! Am Küchentisch und auf der Couch kann ich noch den Rest meines Lebens sitzen und vermutlich werde ich das auch tun !!! Also was soll’s... Lass uns die Mädels in Melbourne treffen und anschließend noch Tasmanien beradeln!“ Ich grinste über beide Backen und konnte mir ein freudiges Juchzen nicht verkneifen. Doch wir beide wussten: Tasmanien mit dem Rad, das würde eine weitere harte Tour werden! Berge, Wind, Kälte, Regen und Nebel... Hatten wir dafür wirklich noch den Ehrgeiz und die körperlichen Reserven? Auch ich war mir da nicht so sicher...
Port Augusta / South Australia - 29. Februar 2020
Mal wieder alles anders...
Jetzt hatten wir also einen neuen Reiseplan. Erst Sightseeing in Melbourne, dann Radeln auf Tasmanien. Eifrig machten wir uns deshalb an die Planung und kauften Kartenmaterial. Wir begannen damit sämtliche Bikerouten, Einkaufsmöglichkeiten und Campingplätze, für die bevorstehende Tour über Tasmanien zu recherchieren.
Doch dann kam mal wieder alles anders...
In Port Augusta lernten wir unverhofft eine nette Reiseradlerin namens Gel kennen. Gel war Ende sechzig, doch für ihr Alter ausgesprochen fit, energiegeladen und redselig. Wie sie erzählte, kam sie gebürtig aus Kalifornien (USA), doch schon mit siebzehn hatte sie die Staaten verlassen und lebte seither mit ihrem Mann bei München in Deutschland.
In einem etwas amüsanten bayrischen Dialekt sagte sie, dass sie ihr Heimatland, die Staaten hasste. Aber auch Deutschland war nur Mittel zum Zweck, denn ihr Herz hatte sie schon vor vielen Jahren an den „roten Kontinent“ verloren.
Bereits seit den 70er Jahren unternahm Gel mit ihrem Mann Radreisen in der ganzen Welt und fuhr dabei noch immer ein und dasselbe Rennrad. Wir waren beeindruckt.
Im Laufe der Jahre hatte das Ehepaar auf ihren unzähligen Radtouren sogar den australischen Kontinent umrundet. Doch inzwischen brachten die beiden, wie Gel es ausdrückte, ihre jährliche Radreise nur noch auf den Punkt. Seit Jahren beradelten sie deshalb die traumhafte Eyre Peninsula und die Flinders Ranges, den für sie schönsten Teil des australischen Kontinents.
Gel plauderte wie ein Wasserfall und geriet bei ihren enthusiastischen Erzählungen so ins schwärmen, dass wir Radmiezen schon während des Gesprächs mal wieder all unsere Pläne über Board warfen und beschlossen nach unserer Sightseeingtour durch Melbourne, nicht das nasskalte Tasmanien, sondern die sonnigwarme Eyre Peninsula in South Australia zu beradeln.
Melbourne (Victoria /Australia), 03. - 07. März 2020
Halligalli in Melbourne
Wir ließen unsere geliebten Fahrräder in Port Augusta (South Australia) stehen und flogen ohne sie am 03. März nach Melbourne, um dort unsere Freundinnen Katrin und Nadine aus Freiburg zu treffen.
Die Wiedersehensfreude am Flughafen war groß. Freudestrahlend fielen wir uns lachend in die Arme. Das unser Treffen am anderen Ende der Welt wirklich zustande kam war einfach genial !!!
Nach dem ersten Schnack, fuhren wir gemeinsam mit dem Taxi in die Stadt, wo wir für die darauffolgenden Tage ein Appartement gebucht hatten. Die tolle Suite befand sich mitten in der City und im 18. Stock eines der vielen Turmhäuser. Der Blick aus der riesigen Fensterfront des Wohnzimmers war beeindruckend, denn neben all den Wolkenkratzern und der tollen Skyline, sah man in der Ferne sogar das Meer.
Wir machten es uns in dieser Luxusbude gemütlich und schnatterten noch bis tief in die Nacht hinein. Es gab unendlich viel zu erzählen...
In den darauffolgenden Tagen erkundeten wir zusammen mit den Mädels die Stadt. Wir machten einen Bootsausflug, fuhren mit der Straßenbahn runter zu den Docklands, besuchten eine Ausstellung in der ACCA Kunstgalerie, bummelten durch Chinatown, blieben in riesigen Shoppingcentern kleben, schlenderten über den Queen Victoria Markt, bestaunten unzählige coole Graffitis von Street-Artisten, ließen uns am Brighton Beach entlang der hübschen bunten Strandhäuser treiben, schleckten Eis, schlürften Kaffee, schlemmten uns durch dekadente Foodcourts und liefen uns dabei regelrecht die Füße platt.
Irgendwann stolperten wir dabei zufällig in das riesige Crown Casino. Noch nie zuvor waren wir Radmiezen in solch einer Spielhölle. Neugierig sahen wir uns in der glamourösen Geldmaschinerie um. Die Atmosphäre war wirklich abgefahren, denn hier wurde der Tag zur Nacht. Die überwiegend asiatischen Gäste nippten lässig an ihren Drinks, während sie die 100,- Dollarscheine stapelweise über die Spieltische schoben und zum Einsatz brachten. Mit lachhaft kleinen Einsätzen versuchten auch wir unser Glück. Leider kam am Ende nichts bei rum, doch den Gaudi war es allemal wert.
Als wir das Crown Casino irgendwann wieder verließen, waren wir uns nicht sicher, ob wir diese verrückte Spielhölle nun cool oder ganz furchtbar fanden, denn hinter der glanzvollen Fassade existierte natürlich eine kalte, einsame und sehr traurige Welt...
In Melbourne war so einiges los. Unter anderem liefen die Vorbereitungen für die Formel 1 Weltmeisterschaft auf Hochtouren, die in wenigen Tagen im Albert Park Circuit stattfinden sollte. Zu Beginn des langen Wochenendes am Labor Day (Tag der Arbeit) begann in Melbourne auch das Moomba-Festival. Diese hippe Veranstaltung ist ein tolles Wasserski-Event und das größte Fest Australiens. Es findet jährlich am Yarra River statt und zieht Millionen von Besucher und Touristen an. Zu dem traditionsreichen Festival entlang des Flusses gehören unter anderem eine Parade, Feuerwerk, Karneval, Wassersport, Live-Musik und ein Jahrmarkt.
Wir ließen uns auf dem riesigen Rummel treiben. Es gab jede Menge moderner Fahrgeschäfte, bei denen sich uns schon vom zusehen der Magen umdrehte. Doch es gab auch viele originelle Vintage-Karusselle und coole Retro-Buden mit fast altertümlichen Wurfspielen, Lotterien und Spiegelkabinetten. Als wir Radmiezen dann die originalgetreue Old School-Geisterbahn unserer Kindheit entdeckten, wurden nostalgische Erinnerungen wieder wach. Wir grinsten uns breit an und kauften spontan zwei Tickets für die Fahrt durch das gespenstische Urgestein.
Während die „Freimädels“ nun gelangweilt auf uns warteten und sich wohl fragten, was wir an dieser Vintage-Bahn nun so toll fanden, alberten wir in dem kleinen Wagon mal wieder soviel rum, dass Elli schon gleich zu Beginn der Fahrt ihre nagelneue und sauteure Oakley-Sonnenbrille vom Kopf fiel und diese zwischen den Schienen landete. Daraufhin guckte sie entsetzt aus der Wäsche und schrie laut: „Oh nein, meine Brille...!!!“ Doch ehe wir uns versahen ging die Fahrt in dem kleinen Wagen auch schon weiter. Ich lachte währenddessen Tränen und bekam mich nicht mehr ein. Doch wir beide konnten uns nun nicht mehr auf die Fahrt durch die Gespensterbahn konzentrieren und dachten nur noch an die gute Brille.
Während wir nun in der Dunkelheit laut vor uns hinjippelten, öffneten sich neben uns Särge mit Leichen. Wir ratterten an einem elektrischen Stuhl vorbei, auf dem eine schaurige Figur saß und wurden danach von Menschen in Kostümen fast zu Tode erschreckt. Bevor sich die Ausgangstür dann schließlich mit viel Krabautz wieder öffnete, bekamen wir noch von einer fliegenden Faust, die in einem ledernen Boxhandschuh steckte, eine übergebraten.
Als wir dann draußen angekommen waren, erklärten wir dem netten Typen vom Fahrgeschäft lachend und unter Tränen, dass Elli ihre Brille auf dem Deck der Geisterbahn verloren hatte. Er ging also hoch und machte sich auf die Suche. Als er dann anschließend mit fünf Einzelteilen in der Hand wiederkam und sie der bedröppelt dreinschauenden Elli mit viel Beileid übergab, bekam ich mich noch weniger ein. Doch Elli hatte wirklich großes Glück, denn obwohl offensichtlich einer der Wagons über die Brille gefahren war und diese in alle Einzelteile zerlegt hatte, war sie nicht kaputt. Wie durch ein Wunder ließ sie sich wieder zusammensetzen und hatte nicht einen Kratzer davongetragen. Donnerwetter!!! Das nennt wohl echte Qualität... :)
Die Tage mit den Mädels in Melbourne waren echt klasse! Wir hatten zusammen mächtig Spaß. Doch nun trennten sich wieder unsere Wege. Etwas platt und müde von dem vielen Sightseeing und dem wenigen Schlaf, verabschiedeten wir uns am Flughafen wehmütig von unseren Freundinnen und hofften auf ein baldiges Wiedersehen in Deutschland. Wieder ging ein wirklich schöner und unvergesslicher Abschnitt unserer Reise zu Ende.
Während die Freiburger Mädels anschließend nach Perth flogen, um den Westen Australiens zu bereisen, ging es für uns zurück nach Port Augusta, wo schon die nächste spannende Radtour und die darauffolgende Rundreise mit meinen Vater auf uns warteten.
South Australia - 10. bis 20. März 2020
Die Eyre Peninsula
Die Eyre Peninsula ist eine nahezu dreieckige Halbinsel in South Australia. Sie liegt zwischen dem Spencer Golf und der Großen Australischen Bucht. Entlang der Ostseite gibt es unzählige einsame Strände, während die Westküste von spektakulären Klippen und kristallklaren Wasser umgeben ist. Auf der Halbinsel finden sich eine Reihe traumhaft schöner Nationalparks, in denen es bizarre Landschaften, Höhlen, versteckte Wasserlöcher und verlassene Ruinen zu entdeckten gilt. Viele Surfer werden von der starken Brandung des Meeres angezogen. Aber auch Hochseeangler kommen hier voll auf ihre Kosten. Wer genügen Kleingeld mit auf die Eyre Peninsula bringt, der kann beim Käfigtauchen aus nächster Nähe Haie beobachten oder mit verspielten Seelöwen Schnorcheln. Übrigens wurden hier im Dangerous Reef, die gruseligsten Szenen des Films „Der weiße Hai“ gedreht. Die alten Schachteln und Säcke unter uns, können sich sicherlich noch an diesen Horror-Schinken aus den 70ern erinnern...
Radtour auf der Eyre Peninsula - (South Australia - 10. bis 20. März 2020)
Whyalla
Es war der Aufbruch zu unserer letzten großen Radtour auf der Reise. Es fehlten noch 1050 Kilometer, dann hätten wir die unglaublichen 25.000 auf dem Rad erreicht. Motiviert brachen wir am 10. März bei Sonnenaufgang auf, ließen die Stadt Port Augusta hinter uns und radelten in eine trockene, hügelige Wüstenlandschaft hinein. In der Ferne standen Windräder, deren Rotorblätter sich langsam im seichten Wind drehten. Die aufgehende Sonne tauchte alles in ein warmes Licht und ließ die rote Erde in der Wüste leuchten.
Wie gewohnt begleitete uns beim Radeln der intensive Geruch von Verwesung, denn überall lagen Kadaver und Knochen überfahrener Kängurus, die nun in der Sonne vor sich hinschmorten.
Schon am frühen Morgen war es heiß. Wir schwitzten. Der Wetterbericht kündigte für diesen Tag satte 37 Grad an. Trotz allem traten wir kräftig in die Pedalen und erreichten schon gegen Mittag die Hafenstadt Whyalla. Trotz des riesigen Stahlwerks und der Industriegebiete vor der Stadt, war uns Whyalla sympathisch. Es gab eine hübsche Strandpromenade und jede Menge Delfine die sich in der Hafenbucht tummelten.
Cowell
Am nächsten Tag radelten wir weiter nach Cowell. Die Fahrt führte vorbei an Feldern auf denen Getreide angebaut wurde oder Schafe und Rinder gemächlich vor sich hingrasten.
Jeder noch so kleine Ort begrüßte uns auf der Eyre Peninsula mit einem Getreidespeicher. Deshalb kam es uns jedesmal wie ein Deja-vu vor. Einige dieser Speicher waren bunt bemalt, meist mit Bildern lokaler Künstler.
Als wir auf dem Campingplatz in Cowell ankamen, war dort die Hölle los. Der stark frequentierte Caravan Park wurde überwiegend von „Grey Nomads“ bevölkert. Das waren Rentner, die sich in der Regel dazu entschieden hatten, Haus, Hof und Garten zu verkaufen, um fortan in komfortablen Wohnmobilen zu leben und damit gemütlich über den riesigen Kontinent zu tuckern. In Australien war dies nichts ungewöhnliches. Uns gefiel jedenfalls diese Art des Ruhestandes, denn die „Alten“ gingen gemeinsam Fischen, veranstalteten Barbecues, trafen sich zum Kartenspielen oder einfach nur auf einen Schnack. Untereinander war alles sehr gemeinschaftlich und man half sich wo man konnte. Niemand war einsam oder alleine.
Trotz der vielen Menschen war die Stimmung auf dem Campingplatz toll. Jeder grüßte, lächelte oder verwickelte uns in ein Gespräch. Viele der Camper hatten uns im Laufe des Tages schon auf dem Highway gesehen.
Mit unserem kleinen Zelt platzierten wir uns zwischen den riesigen Wohnmobilen. Es war ein amüsanter Anblick, über den nicht nur wir, sondern auch unsere Nachbarn lachten.
Port Lincoln
Am nächsten Tag brachen wir schon um 4.00 Uhr morgens auf, um schlappe 165 Kilometer bis nach Port Lincoln, am südlichsten Zipfel der Halbinsel, zu radeln. Zum Glück war der Highway nicht mehr so stark befahren, wie noch in den Tagen zuvor. Scheinbar hatten wir die großen Bergbauminen, in denen viele der Menschen arbeiteten, hinter uns gelassen.
Gegen 7.00 Uhr begann am Horizont das Morgengrauen. Der Himmel war bedeckt und zu unserer Überraschung setzten immer wieder kurze Regenschauer ein. Doch diese kamen uns in der Schwüle des Morgens nicht ganz ungelegen, sondern waren eher erfrischend.
Als die Sonne dann schließlich aufging, sah der Himmel einfach unglaublich aus. Denn die Farben waren so intensiv, dass es aussah, als würde es über dem Meer brennen. Zwei Regenbögen machten sich über unseren Köpfen breit. Still radelten wir vor uns hin und genossen dieses fantastische Schauspiel der Natur.
Der Tag auf dem Rad blieb ungewöhnlich und spektakulär. Die Landschaft um uns herum war absolut schön. Zudem hatten wir perfekte Radbedingungen und waren deshalb guter Laune. Auf dem Lincoln Highway sausten wir also dahin.
Nach rund 90 geradelten Kilometern legten wir gegen Mittag eine längere Pause etwas abseits der Straße ein. Wir kochten Kaffee und mampften unsere Brote. Anschließend kurbelten wir weiter. Nach ungefähr 130 geradelten Kilometern machten wir nochmals Rast, denn inzwischen waren wir so unterzuckert, dass wir diesmal einfach nur am Straßenrand saßen und nicht mehr aßen, sondern einfach nur noch fraßen und dabei diverse Energiebringer in uns hineinspachtelten. Als es danach weiterging hatte der Wind leider gedreht und blies uns nun mit aller Macht entgegen. Die letzten 35 Kilometer wurden mal wieder zur Tortur. Auf dem Zahnfleisch kriechend erreichten wir am Abend jedoch schließlich überglücklich die Stadt Port Lincoln und gönnten uns zur Feier des Tages, ein kleines Zimmer in einem Motel. Mit sportlichen 165 Kilometern war und blieb die Tagesetappe zwischen Cowell und Port Lincoln, die längste auf unserer gesamten Reise.
Ganz in der Nähe von Port Lincoln befanden sich auch der Lincoln- und der Coffin-Bay-Nationalpark. Trotzdem sie für ihre wunderschönen und einsamen Strände bekannt sind, haben wir sie nicht besucht. Denn mit dem Rad wären es bei diesem extremen Wind nicht einfach nur Ausflüge oder kleine Abstecher gewesen, sondern eher harte Tagesetappen. Zudem wurde unsere Zeit langsam knapp, denn schon am 01. April 2020 mussten wir in Melbourne sein um Nadine‘s Vater für die gemeinsame Rundreise durch Australien in Empfang zu nehmen. Wir alle freuten uns schon riesig auf diese gemeinsame Zeit und den perfekten Abschluss unserer Reise. Doch dann...
South Australia, 13. bis 20. März 2020)
COVID-19 versus 25.000 Kilometer
Pandemie..., ein Wort das wir Radmiezen zu Beginn des Jahres 2020 zum ersten Mal hörten. Es handelte sich dabei um die Ende 2019 erstmals in Erscheinung getretene und Anfang 2020 weltweit ausgebrochene Atemwegserkrankung COVID-19, die durch Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöst wird.
Wann immer es möglich war, lasen und sahen wir unterwegs Nachrichten aus aller Welt, die jedoch zunehmend beunruhigender wurden. In Europa und auch in anderen Teilen der Erde nahm die Verbreitung des Virus seinen Lauf. Immer mehr Infektionen und Todesfälle wurden infolge der Pandemie gemeldet. Noch im Februar 2020 bewertete das Robert-Koch-Institut in Deutschland das Risiko von COVID-19 als „gering bis mäßig“, doch schon im März 2020 wurde das Risiko als „hoch“ eingestuft. Auf der ganzen Welt wurden deshalb Maßnahmen ergriffen. Wir hörten von Reise-und Kontaktbeschränkungen und von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Auch in Australien wurde das Coronavirus zunehmend präsenter. Freunde und Angehörige aus der Heimat, sendeten uns alarmierende und beängstigende Nachrichten. Trotz allem waren wir zu diesem Zeitpunkt noch voller Zuversicht, dass das Treffen mit meinem Vater in Melbourne und unsere gemeinsame Rundreise stattfinden würde, denn schließlich waren es bis dahin nur lächerliche 14 Tage...
Eyre Pininsula / South Australia, 14. - 15. März 2020
Schlechte Nachrichten
Am 14. März erfuhren wir aus den Nachrichten, dass zu Hause in Berlin und Brandenburg, ab dem 17. März 2020 alle Kitas und Schulen und ab dem 18. März 2020 auch alle Einzelhandelsbetriebe (bis auf Supermärkte, Lieferdienste, Apotheken, Drogerien, Tankstellen, Baumärkte und einiges mehr) geschlossen werden sollten.
Uns fiel die Kinnlade herunter... Sollte das wirklich wahr sein? Wir waren entsetzt!
Ich (Nadine) telefonierte daraufhin mit meinem Dad, denn immer mehr Länder auf der Welt machten nun infolge der Pandemie ihre Grenzen dicht.
Inzwischen klang auch mein Vater sehr missmutig. Wir sprachen eine Weile über die aktuelle Situation und ob die ganze Hysterie um das Coronavirus wirklich berechtigt war. „Die Leute kauften in Berlin wie bescheuert Konserven und Klopapier“ sagte mein Vater. Doch auch vor Australien machte die Blödheit der Menschen keinen Halt, denn auch hier waren die Regale wo sonst Toilettenpapier stand, leer. Aber auch Pasta, Tierfutter und diverse Konservendosen waren der Renner.
In unserer Unwissenheit versuchten wir im Telefonat mit meinem Vater, den letzten Strohhalm zu greifen, damit er doch noch irgendwie kommen konnte, bevor auch Australien seine Grenzen dicht machen würde. Wir schlugen ihm deshalb vor, in Berlin so schnell wie möglich ins Reisebüro zu gehen, um seinen Flug auf einen früheren und schnellstmöglichen Termin umzubuchen. Aus der heutigen Sicht war das natürlich mehr als naiv, denn schon am nächsten Tag war klar, dass mein Dad aufgrund der 14 tägigen Quarantäne, in die er sich nun nach Einreise in Australien hätte begeben müssen, nicht kommen würde.
Der Coronavirus
Wie überall in der Welt überschlugen sich auch in Australien durch die Verbreitung des Coronavirus/COVID-19 plötzlich die Ereignisse:
Januar / Februar 2020 erste Bilder und Nachrichten vom Lockdown in Wuhan (China)
danach:
13.03.20 -Absage der Formel 1, nur zwei Tage vor der Austragung
15.03.20 -14 Tage Selbstquarantäne für alle Einreisenden
19.03.20 -Ausnahmezustand in Tasmanien
19.03.20 -Ende März bis Ende Mai: keine internationalen Flüge mit Quantas & Jetstar
20.03.20 -Einreiseverbot nach Australien
20.03.20 -Reisende nach Tasmanien müssen in Quarantäne
21.03.20 -Emirates setzt bis auf weiteres Flüge nach Deutschland und Österreich aus
21.03.20 -Northern Territory: alle Einreisenden müssen in Quarantäne
23.03.20 -viele Reisebeschränkungen innerhalb Australiens
23.03.20 -Aufruf an alle Australier: Keine Urlaubsreisen!
24.03.20 -Schließung aller landesinneren Grenzen in Australien
24.03.20 -Aufforderung an Australier: Zuhause bleiben!
04.04.20 -Australien ändert Visumsbedingungen, unter anderem für Work und Travel
21.04.20 -Fluggesellschaft Virgin Airline meldet Insolvenz
Eyre Peninsula/South Australia, 16. - 20. März 2020
Alles anders, alles neu...
In den darauffolgenden Tagen radelten wir mies gelaunt und antriebslos entlang der Westküste der Halbinsel. Da nun klar war, dass das langersehnte Wiedersehen und die Rundreise mit meinem Vater nicht stattfinden würden, brauchten wir erstmal eine Weile um das alles zu verdauen. Tiefe Traurigkeit und Enttäuschung setzte ein. Besonders mir (Nadine) entzog die Sache nun enorme Kraft und Energie auf dem Rad. Ich fühlte mich plötzlich unglaublich ausgelaugt und leer. Ich bekam das schwere Rad kaum noch bewegt. Doch uns beiden fehlte nun der Antrieb. Die Luft war einfach raus und die Tage auf der schönen Eyre Peninsula wurden deshalb zur körperlichen Qual.
Trotz allem blieb die Landschaft entlang der ruhigen Westseite natürlich wunderschön. Wir radelten durch hügeliges Land, vorbei an goldgelben Feldern und sahen in der Ferne immer wieder das Meer. Zwischendurch gab es Abschnitte herrlich duftender Eukalyptuswälder und Kängurus hopsten an der Straße neben uns her. An den Abenden fanden wir tolle Wildcampingplätze im trockenen und goldgelben Gras. Kakadus und Kookaburras flogen vor Sonnenuntergang wie gewohnt laut kreischend und aufgeregt durch die Lüfte, doch in den Nächten war es totenstill. Es war unglaublich wie ruhig es in der Natur sein konnte. Wenn wir morgens erwachten kochten wir uns Kaffee und sahen in unseren Schlafsäcken sitzend zu, wie der Tag langsam erwachte.
Eyre Peninsula/South Australia, 16. März 2020
Begegnung mit "Ösis"
An einem der Tage auf der Halbinsel, radelten wir entlang der Westküste, an einem riesigen und zum Teil mit Wasser gefüllten Salzsee vorbei. Die steppenartige Landschaft die ihn umgab war wunderschön und erinnerte ein wenig an die Atacama-Wüste in Chile. Nur das es hier viel wärmer war.
Es war Zeit für ein zweites Frühstück und deshalb rollten wir mit unseren Rädern auf einen Rastplatz. Als wir dort ankamen, saß ein dickes Pärchen an einem Tisch. Die beiden schienen nicht wirklich begeistert, dass wir die Ruhe und ihr einsames Picknick störten. Doch da es weit und breit keinen anderen Tisch gab und wir mit unseren Rädern nicht eben mal schnell zum nächsten und kilometerweit entfernten Rastplatz radeln konnten, fragten wir, ob wir uns zu Ihnen setzen durften. Sie bejahten, begannen jedoch darauf, wortlos und bedient ihre Sachen zusammenzupacken. Scheinbar aus Anstand fragte der gewichtige Mann dann schließlich doch noch, wo wir denn herkämen und wie lange wir schon unterwegs waren. Wir erzählten das wir aus Deutschland sind und schon fast zwei Jahre mit den Rädern unterwegs waren. Plötzlich war das Eis gebrochen und überraschend freundlich sprudelte es nun aus den beiden heraus. Wie wir erfuhren kam das Paar aus Österreich und bereiste Australien zum wiederholten Male für ganze drei Monate. Ihnen gefiel der „Rote Kontinent“ so gut, dass sie am liebsten dorthin ausgewandert wären. Doch dies war nicht so einfach.
Wir kamen mit den beiden ins Gespräch und plauderten eine Weile über die aktuelle Coronavirus-Situation. Die Regierung Österreichs und auch Deutschlands hatten inzwischen weltweit ihre Landsleute dazu aufgerufen, möglichst schnell in ihre Heimatländer zurückzukehren. Doch was sollten wir dort? In Europa und vor allem in Italien, Spanien und Frankreich wurden inzwischen mehr Infektionen und Todesfälle gemeldet als irgendwo anders auf der Welt!!! Mit den beiden Österreichern waren wir uns also einig: „Jetzt nach Hause? Auf keinen Fall !!!“
Nachdem wir uns eine Zeitlang mit den beiden ausgetauscht hatten, verabschiedeten wir uns voneinander. Als der Mann dann zum Abschied meinte: „Es war sehr schön hier auf Gleichgesinnte zu treffen“, amüsierten wir uns mal wieder prächtig. Die beiden stiegen daraufhin in ihren riesigen Geländewagen und brausten davon.
South Australia, 20. März 2020
Kuriose Ankunft in Port Augusta
Am 19. März erreichten wir die Kleinstadt Ceduna und hatten somit die Eyre Peninsula umrundet. Mit rund 24.750 Kilometern auf dem Tacho fuhren wir im Bus zurück nach Port Augusta. Dort wollten wir erstmal einige Tage auszuspannen, um anschließend Richtung Adelaide zu Pedalen und auf dem Weg dorthin unsere 25.000 geradelten Kilometer feiern.
Als wir jedoch in Port Augusta auf dem Holiday Park eintrafen, war alles anders als zuvor. Irritiert rüttelten wir an der verschlossen Tür des Office. Wir sahen uns verdattert um und entdeckten einen Zettel auf dem geschriebenen stand, dass die Rezeption wegen des Coronavirus nicht besetzt war. Man sollte jedoch anrufen, um sich zu registrieren. Als wir dies daraufhin taten, erfuhren wir, dass in dem Ferienpark wegen des stark reduzierten Personals, keine Zimmer und Bungalows mehr vermietet wurden. Verdutzt stellten wir also erneut unser Zelt auf.
Nur noch wenige Touristen dümpelten in dem riesigen, sonst nahezu ausgebuchten Holiday Park umher. Überwiegend waren es junge Europäer, die durch die aktuelle Situation ihre Jobs als Work & Traveller verloren hatten und nun genau wie wir blöd aus der Wäsche guckten. Es war eine seltsame Stimmung. Den noch Verbliebenen waren die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben.