Die Tage auf dem Rad
Wenn wir morgens mit unseren Rädern gegen 5.00 Uhr in der Früh starteten, dann hing meist noch dichter Nebel und Dunst über den Wäldern und Feldern. Die Temperaturen waren angenehm mild und auch der Wind lag meist noch in den Federn. Wir nutzten also die Zeit und kurbelten so viele Kilometer wie möglich, bevor die Temperaturen stetig anstiegen und es zunehmend heißer und windiger wurde. Spätestens ab 11.00 Uhr begann in der Regel die große Hitze. Dann waren alle Wolken verflogen und die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel.
Auf der Etappe zwischen Jerramungup und Ravensthorpe kündigte der Wetterbericht für den 28. Januar schlappe 43 Grad an. An diesem Tag bewaffneten wir uns deshalb mit je 6 Liter Wasser pro Frau. Wieder starteten wir früh und gaben mächtig Gas, um noch vor der großen Hitze so viele Kilometer wie möglich zu schroten. Alles lief wie geschmiert und schon gegen 12.00 Uhr mittags hatten wir 70 geradelte Kilometer auf der Uhr.
Doch dann bekam Elli in der extremen Hitze plötzlich einen krassen Einbruch und ihr wurde kotzübel. Wir fuhren noch eine Weile weiter, aber dann meinte sie irgendwann, dass sie einfach nicht mehr kann. Ich war perplex und besorgt.
Wir stiegen also vom Rad und Elli legte sich neben dem Highway in den Schatten. Durstig überblickte ich währenddessen unseren Wasservorrat. Mir wurde klar, dass das Wasser unter diesen Umständen vielleicht nicht ausreichen würde. Auf der Strecke nochmal das Zelt aufzuschlagen fiel also aus. Wir mussten Ravensthorpe an diesem Tag unbedingt erreichen!!! Egal wie!!!
Doch mit Ellis krassen Kreislaufproblemen war nicht zu spaßen. Da lag sie nun, kümmerlich im Halbschatten eines Baumes auf der Matte. Wir überlegten was zu tun war. Zucker und viel Wasser mussten nun her. Wir kramten daraufhin eine Dose mit zuckersüßen Obst aus der Tasche und streckten es mit viel Wasser. In der Hoffnung das es ihr dann besser gehen würde, schaufelte Elli den Fruchtcocktail langsam in sich hinein.
Nachdem einige Zeit vergangenen war, radelten wir versuchsweise weiter. Doch es ging nicht, die Hitze war einfach zu krass. Wieder hielten wir an und suchten uns einen schattigen Platz. Doch es half nichts, irgendwie mußten wir weiter!
Aus der Not heraus begann ich nun damit das Equipment in unseren Taschen umzupacken und es anders zu verteilen. Ich musste Elli unbedingt Gewicht abnehmen, sonst würden wir nicht vorankommen.
Als wir dann wieder starteten war mein Rad schwer wie ein Motorrad. Ein zweites Rackpack zierte meinen Gepäckträger. Bei diesem Anblick musste nun auch Elli wieder lachen, denn ich sah aus wie ein Doppelwhopper auf einer Shopper. Als wir dann weiterkurbelten stabilisierte sich allmählich Ellis Kreislauf. Stück für Stück kamen wir auf dem ruhigen Highway wieder voran.
Wir waren noch nicht lange unterwegs, da hielt auf der gegenüberliegenden Fahrbahn plötzlich ein Camper. Ein nettes älteres Pärchen stieg daraufhin aus dem Wagen und fragte ob wir vielleicht Wasser benötigten würden.
Es grenzte an ein Wunder...! Innerlich machten wir Freudensprünge und schrien laut: YES!!! Schnell sprang ich (Nadine) vom Rad und flitzte zu den beiden hinüber. Als die beiden dann eine eisgekühlte 1,5 Liter Flasche Wasser aus dem Kühlschrank ihres Campers zauberten, vergaß ich meine Manieren und stürzte vor den Augen des Paares die Hälfte des Wassers wortlos meine Kehle hinunter. Die Beiden sahen mich ungläubig an. Doch dann lachten sie laut los und schenkten mir nach. Ich grinste über beide Backen.
Nachdem unsere Wasserflaschen aufgefüllt waren bedankten wir uns bei diesen großartigen Menschen und radelten weiter durch die Hitze des Outbacks. Trotz aller Widrigkeiten erreichten wir nach rund 120 geradelten Kilometern an diesem Tag tatsächlich noch das Roadhouse in Ravensthorp.
Viehtransporte
Auf unserer Tour durch Australien sahen wir unzählige Viehtransporte. Riesige Roadtrains auf denen Schafe und Rinder massenhaft zusammengepfercht waren und bei großer Hitze tausende Kilometer durch Down Under zum Markt oder zum Schlachthof gekarrt wurden. Wenn die Viehtransporte uns überholten, dann zogen sie noch meilenweit den Geruch von Fäkalien, Verwesung und Tod hinter sich her. Zum ersten Mal hörte ich Elli auf dieser Reise sagen, dass sie nach der Tour versuchen will kein Fleisch mehr essen. Die Tiere taten uns unendlich leid und wir konnten den Anblick kaum noch ertragen...
Road Trains
In der Regel waren die Fahrer der riesigen Road Trains (Trucks mit bis zu vier Anhängern) sehr umsichtig und überholten uns und wann immer es möglich war mit großer Vorsicht. Trotzdem war auf dem Rad höchste Konzentration gefragt, denn kam ein Truck von vorn, bekam man eine solch eine heftige Windschelle verpasst, dass man mit dem Rad fast stehen bleibt. Kam der Truck von hinten, dann war sein Sog oft so extrem, dass wir nur noch krampfhaft den Lenker festhielten, um mit dem Rad nicht ins Schlingern zu geraten. Kamen die Roadtrains gleichzeitig von vorn und von hinten, dann sprangen wir mit unseren Rädern im Hechtsprung von der Straße und ließen die Kolosse erstmal an uns vorbeidonnern.
Western Australia, 31. Januar - 01. Februar 2020
Esperance
In der wunderschönen Umgebung von Esperance legten wir schließlich zwei Pausentage ein, denn das von Inseln gespickte Panorama ist eine der traumhaftesten Kulissen Westaustraliens. Schneeweiße Strände, runde Felsen und das leuchtend türkisfarbene, glasklare Wasser, machen die Gegend zu einem absoluten Juwel.
Zur Abwechslung radelten wir mal ganz ohne Gepäck und ließen uns auf der traumhaften 38 Kilometer langen Great Ocean Road treiben. Der Radweg führte dabei direkt am Meer entlang. Die einsamen Strände, der puderzuckerartige Sand und die Farbe des Meeres waren so paradiesisch, dass wir pausenlos von unseren Rädern juchzten und aus dem Staunen nicht herauskamen.
Western Australia, 31. Januar - 01.Februar 2020
Der große Einkauf für die Nullarbor
Ab Norseman begann der berühmte Eyre Highway und damit auch unsere Tour durch die Nullarbor Plain. Der nächste große Supermarkt lag also rund 1200 Kilometerweit entfernt. Doch schon in Esperance (rund 200 Kilometer vor der Wüste) deckten wir uns mit jeder Menge Lebensmitteln und anderen notwendigen Dingen ein. Denn wie wir zuvor gelesen hatten war der Supermarkt in Norseman schlecht sortiert und das Essen in den Roadhäusern auf der Strecke teuer.
Nach fast eineinhalb Jahren auf dem Rad konnten wir Radmiezen nun allerdings kein Müsli und auch keine Nüsse mehr sehen. Wir hatten dieses Zeug einfach satt! Für die geplanten 14 Tage durch die Wüste kauften wir deshalb 6 Gläser Nutella (a 750g), 45 Tüten Beef Jerky (a 60g), unzählige Reiswaffeln, etlichen Konserven mit gebackenen Bohnen, Obst, Brot, Schmelzkäse, Pasteten und Kaffee. Eben alles was sich bei großer Hitze irgendwie halten kann.
Als die Taschen dann gepackt waren meinte ich zu Elli, dass ich mir wegen des vielen Essens ein bisschen sorgen mache. Daraufhin fragte sie: „Wieso? Hast du etwa Angst das wir Zuviel eingekauft haben und nicht schaffen das alles aufzuessen?“ Daraufhin ich: „Nein! Ich habe eher Angst das wir das ganze Zeug wirklich aufessen!!!“
Nur neun Tage später und noch bevor wir die Stadt Ceduna erreicht hatten, waren alle Vorräte tatsächlich aufgefuttert. Kein einziges Glas Nutella war mehr übrig. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich (Nadine) fünfeinhalb Gläser davon allein verspachtelt habe!!! Verrückt, denn zu hause würde ich garnicht erst auf die Idee kommen Nutella überhaupt zu kaufen. Doch unter den enormen Strapazen einer solchen Tour ist eben alles anders. Der Körper wird zur regelrechten Verbrennungsmaschine die ständig gefüttert werden will. Ohne dem läuft nichts!!!
Unterwegs kam es oft vor das wir von einer Minute auf die andere einen solch plötzlichen Energieverlust hatten, dass wir am Straßenrand saßen und nicht mehr aßen sondern einfach nur fraßen!!!
Schlittschuhlaufen
Noch bevor wir die Nullarbor Wüste erreichten, radelten wir häufig an gleißend grellen Salzseen vorbei, die von leuchtend roter Erde umgeben waren. Die Kulisse war so surreal das ich Elli jedesmal fragte, ob wir Schlittschuhlaufen gehen wollen. Mit Schlittschuhen auf dem Salzsee, das wäre doch ein cooles Fotomotiv...
Nullarbor Plain
(von lat. nullar arbor = kein Baum)
Die Nullarbor Plain ist eine flache weit ausgedehnte Karstwüste im südlichen Australien, deren Ebene weitgehend Baumlos ist, daher ihr Name. Sie zieht sich über 1200 Kilometer von Norseman nach Ceduna und ist mit 200.000 Quadratkilometern das größte Stück Kalkstein der Erde. In der Nullarbor-Ebene befindet sich der trockenste Fleck Australiens und die längste gerade Straße des Kontinents (146,6 km).
Western Australia / South Australia, 04. - 17. Februar 2020
Die Tour durch die Nullarbor Wüste
Zuvor hatten wir einiges über die Strecke durch die Nullarbor Plain gelesen. Wie versprochen hatten wir auf den 1200 Kilometern durch die Wüste wirklich keinen Empfang, sodass wir weder im Netz surfen, noch telefonieren konnten. Doch wie genial war das denn?!? Wo auf der Erde konnte man schon noch so isoliert und abgeschnitten von der modernen Welt sein??? Das gab es nicht mal in Alaska!!!
Während andere deshalb vielleicht gestorben wären, fanden wir es einfach unglaublich toll mal unerreichbar zu sein. Das es so etwas noch gab grenzte fast an ein Wunder...
Entgegen aller Beschreibungen war der Zustand des Highways wirklich hervorragend. Scheinbar waren Teilabschnitte der Strecke neu asphaltiert worden. Und so konnten wir auf der gesamten Strecke ohne Platten und Probleme dahinrollen.
Die meiste Zeit ging es auf dem Eyre Highway ausgesprochen ruhig zu. Nur ab und zu fuhren Camper, Autos oder Road Trains an uns vorbei. Und wie gewohnt hupten und winkten die meisten Insassen uns freudestrahlend zu.
Auf den 3100 Kilometern zwischen Perth und Port Augusta hatten wir ganze drei Zeitzonenwechsel. Wir mussten also jedesmal unsere Uhren vorstellen und wurden der wertvollen Tageszeit beraubt. Wir konnten uns garnicht so schnell auf die neuen Zeiten einstellen wie sie gewechselt wurden...
Auf der Fraser Range
Wir radelten gerade mal einen Tag auf dem Eyre Highway, als wir am Abend die wunderschöne Fraser Range und damit sozusagen „Bilderbuch-Australien“ erreichten. Denn auf der riesigen Farm hüpften wilde Kängurus umher, liefen scheue Emus durch die Gegend und zahme Kühe, Ziegen und kuschelbedürftige Kamele die hinter Zäunen standen, ließen sich streicheln. Als wir dann noch die rustikale Bauernküche für die Gäste entdeckten, war es um uns geschehen. Spontan legten wir auf der Range einen weiteren Pausentag ein und lernten dabei ein sympathisches Traveller-Pärchen aus Deutschland kennen. Die beiden tourten mit ihrem Van gerade durch Australien. Auf dem Highway trafen wir Jessi (aus Rostock) und Matteo (aus Berlin) nochmal wieder und bekamen von ihnen willkommene kühle Drinks und Gummibärchen spendiert.
Noch bevor der erste Hahn kräht
Fast jeden Morgen standen wir gegen 3.00 Uhr in der Nacht auf, um der großen Hitze aber vor allem dem starken Gegenwind der meist um die Mittagszeit einsetzte, zu entgehen. Müde packten wir täglich in aller Herrgottsfrühe unsere sieben Sachen, bauten das Zelt ab, Frühstückten und saßen spätestens gegen 5.00 Uhr auf unseren Rädern. Dann kurbelten wir unter dem atemberaubenden Sternenhimmel still durch die Dunkelheit Richtung Osten und radelten den grandiosen und langen Sonnenaufgängen entgegen.
Pausentage
Irgendwann hat uns auf der Reise mal jemand gefragt, was wir denn außer Kaffee trinken an unseren freien Tagen noch so machen...
Die Pausentage sind oft ausgefüllt. Nicht etwa mit Sightseeing oder Faulenzen, sondern mit Reparieren von Dingen, dem Warten der Räder, dem Waschen der Wäsche, dem beantworten von Nachrichten und Mails, Telefonaten, dem bearbeiten und sortieren von Fotos, dem Schreiben von Texten, mit Planen, Besorgen von Dingen und Einkaufen von Lebensmitteln. Ehrlich gesagt bleibt da nur selten Luft zum Verschnaufen. Pausenloses Organisieren ist an der Tagesordnung. Urlaub fühlt sich eindeutig anders an!!! Die eigentlichen Erlebnisse und Abenteuer finden auf dem Rad statt!